... Von der Realität gar nicht so weit weg...

Smartcar

oralb genius 8000 produktbildEine Zahnbürste, die alles sieht

Mindestens zwei große Hersteller übertreffen sich mit Features zu einer smarten Zahnputz-Technologie. Gestürzt und ausgewertet wird das jeweils durch eine Smartphone App.

Ich stelle mir da die Frage, ob ich wirklich morgens mit meinem iPhone im Bad stehen will, und dieses dabei meine Putzbemühungen in alle Welt hinaus posaunt. So werden die Daten dann via Bluetooth an eine mobile App übertragen, die nach dem Bürsten als Dokumentation eine dreidimensionale Nachbürstenanalyse erstellt und Bereiche des Mundes empfiehlt, die auch "berührt" werden sollten oder zusätzliche Aufmerksamkeit erfordern. Es gibt auch die Option, eine monatliche Übersicht der Putzmuster an den Zahnarzt zu schicken, um ihn über die Putzgewohnheiten zu informieren. Die Bürste warnt außerdem vor zu starkem Druck und schreibt alles in eine Datenbank, die sich mittlerweile auch nach Erstellen eines Nutzerkontos auf einem Server des Herstellers sichern lässt. Die Putzstatistik in der App soll langfristiges, gewissenhaftes Putzen fördern und Zahnfäule verringern

Da genau liegt das Problem: wer macht was mit den Daten, und werde ich überhaupt noch befragt, wie sie genutzt werden, oder habe ich allem schon beim abnicken des kleingedruckten zugestimmt, um das Teil überhaupt benutzen zu können.

Wenn man die Begeisterung der Vertreter großer Konzerne zum Thema "Internet der Dinge" verfolgt, dann kann ich oft gar nicht glauben, dass die gesagten Dinge wirklich ernst gemeint sind. All diese Daten, zusammen mit vielen anderen von Herstellern rund um Connected Devices, kommen aus der Amazon Web Services Cloud. Die Ära der IoT-fähigen Devices hat begonnen und die Hersteller möchten auf dem neuesten Stand sein, wenn es darum geht, Privat- und Geschäftskunden Zugang zu mehr Daten zu bieten, die dann hoffentlich dazu beitragen, dass die Patienten gesünder leben und die Maschinen reibungsloser laufen. So jedenfalls die bekundete Absicht der Hersteller.

Tatsächlich ist ein enormer Druck zu bemerken, und alle Hersteller haben Angst, Märkte zu verlieren, da werden persönliche Daten schnell mal zum Allgemeingut erklärt. Die meisten Unternehmen haben beschlossen, dass dies ein wesentlicher Kompetenzbereich sein wird. Sie wandeln sich von einem vorwiegend geräteorientierten Unternehmen zu einem Anbieter von Gesundheitstechnologie rund um Pflege und Service. Der schwierigste Teil des gesamten Prozesses ist aus Herstellersicht Sicht dabei, in dem hart umkämpften Markt in Führung zu bleiben. Konkret bedeutet dies, Mitarbeiter weiterzubilden, neue Angestellte zu werben und sie angemessen zu bezahlen.

 

Vielleicht werde ich für das Verständnis dieser Zusammenhänge so langsam auch zu alt, oder anders ausgedrückt: worin liegt meine persönliche Freiheit, wenn mir der Hersteller meiner Zahnbürste beim Zähneputzen zusieht?! (und die Bilder dann an die Krankenkasse verschickt)

 

SmarthomeHacker nutzen im Smart Home vernetzte Hausgeräte für Angriffe.

Toaster, Kaffeemaschinen oder Überwachungskameras lassen sich so umprogrammieren, dass sie private Netzwerke und Unternehmen schädigen.

Laut einer aktuellen Studie des Verbands der Internet-Wirtschaft eco sehen 95 Prozent der befragten IT-Sicherheitsbeauftragten in den Unternehmen eine wachsende bis stark wachsende Bedrohung. Und das spiegelt sich in der Realität wider: Jedes zweite Unternehmen war schon Opfer einer Cyberattacke.

 

Smart Home - die neue Gefahr für den Verbraucher!

Ein Grund ist die wachsende Digitalisierung. Jetzt, wo immer mehr Geräte vernetzt werden, wird noch gearbeitet wie vor 15 Jahren. Aber die Angreifer sind schon lange in der Gegenwart angekommen. Sie werden immer trickreicher und erfinderischer.

Hersteller und Verbraucher machen es den Angreifern einfach zu leicht. Der Hersteller stellt zunächst die Funktion des Gerätes in den Mittelpunkt. Der Kühlschrank soll aus dem Internet erreichbar sein, doch die Sicherheit bleibt aus Nachlässigkeit oder Kostengründen auf der Strecke. Dazu kommt, dass viele Hersteller bis zuletzt nur einen Elektromotor richtig anschließen mussten, und heutzutage komplexe Computer Systeme verbauen.

Der Verbraucher macht sich keine Gedanken und kann auch gar nicht erkennen, dass ein Gerät unsicher sein könnte. Darüber hinaus geben die Nutzer wichtige Daten in die Cloud frei, von denen niemand weiß, wofür sie noch weiter genutzt werden, oder ob die Hersteller damit sorgsam umgehen. Ich wäre jedenfalls sehr besorgt, wenn mein Kühlschrank bei Amazon neue Mich bestellt, wenn die Tüte leer ist...

Sobald ich meinen Kühlschrank ans Netz hänge, ist dieser auch für Manipulation von außen verwundbar. In den USA gab es schon Kühlschränke, die gehackt wurden und dann wiederum andere Geräte angegriffen haben. Dieses Risiko ist Kunden in der Regel nicht bewusst. Sie haben zwar eine Antiviren-Software auf dem PC installiert, doch es gibt heute noch sehr viele andere vernetzte Geräte, die völlig ungeschützt sind.

Für mich ist auch nicht mehr die Frage, ob ein System gekapert wird, sondern nur noch wann das passiert. Manch einer wird erst dann anfangen sich darüber Gedanken zu machen, wenn am großen Display des Kühlschranks, der nun zum Mittelpunkt der Automation mutiert ist, zu lesen ist:

Dieses System wurde übernommen!

Wenn sie die Kontrolle wiedererlangen wollen, zahlen sie 2.500 Bitcoins oder 10.000€ per Western Union an folgende Adresse: ... ... ... .. Bis zum Zahlungseingang haben wir Ihre Heizung auf 29° Grad eingestellt, und Ihr Gefriergerät abgetaut. In Ihrem Schafzimmer brennt bis auf Weiteres das Licht, und Ihre Garage wurde verschlossen. Die Lautstärke Ihres Fernsehers wurde auf 90% festgelegt, und die Sender Liste bis auf das erste Programm gelöscht. 

Der Kühlschrank. Immer wieder der Kühlschrank, der merken soll, wenn keine Milch mehr da ist, kein Käse und auch kein Bier mehr. Und dann ins Internet geht und alles fehlende gleich zügig nachbestellt, und der per Kamera einen ständigen Blick auf die Lebensmittel an das Smartphone sendet. Das soll "Smart Home" sein, also intelligente und vernetzte Haus-Technologie. Doch das Bild vom schlauen Kühlschrank ist Quatsch, sagt Joachim Quantz, der für die Innovationsinitiative Connected Living forscht. "Diesen Kühlschrank will niemand haben." So eine Idee entstehe, wenn bei einem Forschungsprojekt das Augenmerk vor allem darauf liege, was technisch möglich sei. Tatsächlich sind die Zahlen zu Smart Home ernüchternd. Nur drei Prozent aller Deutschen nutzen nach eine Studie des Beratungsunternehmens Accenture derzeit intelligente Haustechnik.

 

Zwangsweise gibt es neue Stromzähler!

Smart Homes erinnern immer mehr an Strafvollzug

Amazon bringt mit Echo Look ein Gerät auf den Markt, das immer zuhört und immer zusieht. Was macht diese Dauerüberwachung mit einer Gesellschaft?
In den USA gewinnt der elektronisch überwachte Hausarrest (electronic monitoring) als Strafvollzug immer mehr an Bedeutung. 2015 entschieden sich 125000 verurteile Straftäter für die Alternative zum stationären Freiheitsentzug. Die Gefängnisse in den USA sind voll, das Land hat nach den Seychellen die höchste Gefangenenrate der Welt.Mehr als jeder vierte Inhaftierte auf der Welt sitzt in den USA ein. Die Idee, das Zuhause zu einer Art Gefängnis light zu machen, ist also verständlich. Der Straftäter wird mithilfe einer Fußfessel auf Schritt und Tritt überwacht, er darf das Haus verlassen und einer Beschäftigung nachgehen, muss aber An- und Abwesenheiten protokollieren sowie den Vollzug bezahlen.

Man kommt nicht mehr ins Gefängnis - das Gefängnis kommt zu uns
Ein Betroffener sagt: "Während ich nicht ins Gefängnis ging, kam das Gefängnis zu mir." Es ist eine groteske Umkehr der Tatsachen: Der Inhaftierte bezahlt für seine Zelle und dafür, dass er sein eigener Gefängniswärter wird. Die Ironie ist, dass es genau das ist, was mit der totalen Vernetzung unserer Haushalte passiert. Das Smart Home wimmelt nur so von Geräten, die die Bewohner potenziell überwachen können: Smarte TVs, Netzwerklautsprecher, Thermostate, Smartphones. Vernetzte Lautsprecher wie Amazon Echo zeichnen Sätze auf und leiten diese an einen Cloud-Dienst weiter, wo sie ausgewertet werden. Der vernetzte Lautsprecher hört laufend mit. Die Polizei in Bentonville im US-Bundesstaat Arkansas verlangte von Amazon die Herausgabe von Audio Dateien in einem mysteriösen Mordfall. Der virtuelle Assistent könnte ein tödliches Geheimnis hüten - und einige sachdienliche Hinweise liefern. Was geschah zur Tatzeit? Gab es Schreie des mutmaßlichen Opfers? Amazon gab die Daten nach anfänglichem Zögern schließlich doch heraus.

Wikileaks enthüllte, dass die CIA unter dem Codenamen "Weeping Angel" mit einem Hackertool Smart-TVs von Samsung anzapfte und in einen Fake-Off-Modus schaltete. Der Verbraucher denkt, er habe den Fernseher abgeschaltet, doch in Wirklichkeit sendet das Gerät die über das Mikrofon und die Webcam empfangenen Daten an einen geheimen CIA-Server im Internet. Der Off-Modus ist nur simuliert.

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Womöglich braucht es gar keine Fußfesseln mehr, um die Bürger zu disziplinieren

Der Grad der Empörung tendiert überraschenderweise gegen null. Vielleicht, weil man sich an die Überwachung schon gewöhnt hat. Datenkonzerne wie Google oder Facebook zeichnen detaillierte Bewegungsprofile, werten unser gesamtes Gesagtes und Geschriebenes aus und führen Protokoll über unsere Aktivitäten. Die Geschäftsmethoden der Tech-Konzerne unterscheiden sich funktional wenig von der Vorgehensweise des Strafvollzugs beim elektronischen Hausarrest, nur dass die ganzen Gadgets und Programme als großes Freiheitsversprechen verkauft werden. Doch wenn der elektronisch überwachte Hausarrest die Alternative zum Gefängnis ist, müsste dann das (freiwillige) Tragen eines Fitness-Trackers nicht auch als Freiheitsentzug verstanden werden? Oder anders gefragt: Worin soll die Freiheit liegen, täglich 10 000 Schritte zu gehen oder seine intimen Gespräche von Netzwerk Lautsprechern aufzeichnen zu lassen? Wir sind Insassen eines Daten-Gefängnisses, gefangen in einem System, in dem das Ausleuchten persönlicher Informationen die Regel und nicht die Ausnahme darstellt.Die Überwachung durch Internet Konzerne und der Vollzug des E-Hausarrests durch profitorientierte Firmen gehören zum Überwachungskapitalismus. Man bezahlt für seine eigene Überwachung - mit Geld oder Daten.
Doch relativiert sich nicht auch die Freiheitsstrafe als einzig rechtmäßige Freiheitsberaubung, wenn die Freiheit ohnehin schon eingeschränkt ist? Sind Smartphones nicht eine Light-Version der elektronischen Fußfessel, ein Messgerät, das uns permanent ortet und mit dem man, als kleine Hafterleichterung, telefonieren und ins Internet gelangen kann? Ist nicht irgendwann ein Punkt erreicht, an dem sich die Dialektik zwischen Freiheit und Unfreiheit auflöst? Es gibt ja kein Entkommen vor der angeblich segensreichen Technik. Sie umfasst die Telematik im Auto, die jedes Brems- und Beschleunigungsverhalten registriert, sie kontrolliert GPS-Systeme in Smartphones und Autos, um unsere Standorte zu lokalisieren, und sie zeichnet zu Hause auf, ob man raucht oder Alkohol trinkt. Es gibt zudem kein Entrinnen vor automatisierten Systemen wie Algorithmen, die autoritativ und intransparent unsere (soziale) Bonität bewerten.

Der nächste Schritt: Amazons Echo Look, ein Gerät das immer zuhört - und zusieht
Es scheint so, als wäre unser Datengefängnis dem sehr ähnlich, dennoch gibt es wichtige Unterschiede", erklärt der Hamburger Soziologe und Kriminologe Nils Zurawski. "Der erste, noch bestehende ist, dass wir zwar gemonitort werden, aber der Erzwingungsstab, vulgo: die Polizei, uns nicht holt, wenn wir abweichen oder fehlen." Und: Was man bei den Tech-Konzernen im Gegensatz zur Fußfessel hat, ist die Simulation der Wahlfreiheit, um es einmal zuzuspitzen. Alles ist Teil einer Simulation, auch die vermeintliche Wahlfreiheit, während Google und Co. den Kern und auch die Ausgestaltung dieser Freiheit kontrollieren. Es hat etwas von einer modernen Form von frühkapitalistischen Unternehmen, die aus Fürsorge und Kontrolle Städte für ihre Arbeiter bauten, die die Freizeit kontrollierten, den Kirchgang und auch den Konsum, indem sie die Märkte stellen.

Echo Look ist genau das, was der Soziologe Gary T. Marx als "soft surveillance" bezeichnet
Amazon hat kürzlich eine vernetzte Kamera namens Echo Look vorgestellt, mit der sein Netzwerk Lautsprecher Echo mit Augen ausgestattet wird. Der Kunde kann per Sprach-befehl ("Alexa, mach ein Foto von mir") Fotos zweier verschiedener Outfits machen, die über die sogenannte Style-Check-Funktion von einem Computer bewertet werden. Das Ganze wird als künstlich intelligenter Style-Berater vermarktet ("Alexa-Kamera für Modebewusste"), ist aber genau das, was der amerikanische Soziologe Gary T. Marx einmal als "soft surveillance" bezeichnet hat: Die Überwachung findet im Konsum statt. Die Soziologin Zeynep Tufekci befürchtet, dass Amazon noch viel mehr aus den Ganzkörperfotos seiner Kunden ablesen kann, etwa ob sie schwanger, übergewichtig oder depressiv sind.

Mit dem Smart Home kommt der elektronisch überwachte Hausarrest zu jedermann.

 

 Überarbeitete Fassung aus der Süddeutschen Zeitung vom 1. Juni 2017